Bruder Laurentius "Der Wandel in Gottes Gegenwart"
Bruder Laurentius
"Der Wandel in Gottes Gegenwart"
Gespräche und Briefe des Karmeliterbruders Laurentius
Ich sah den Bruder Laurentius zum ersten Mal am 3.August 1666. Er erzählte mir, wie sich seine Bekehrung zugetragen habe und sagte folgendes:
Gott hat mir eine besondere Gunst zuteil werden lassen, indem er mich im Alter von 18 Jahren zu sich bekehrte. Das kam so: In einem Winter betrachtete ich einmal einen Baum, wie er kahl und entblättert dastand, der dann im Frühling Blüten und im Herbst reife Früchte trug. Bei diesem Anblick empfing ich einen so starken Eindruck von der Vorsehung und Allmacht Gottes, daß er sich unauslöschlich tief in meine Seele senkte. Diese innerste Berührung hat es vermocht, mich vollständig von der Welt loszureißen. Sie hat eine solche Liebe zu Gott in mir entzündet, daß ich nicht einmal sagen kann, ob sie in den 40 Jahren, seitdem ich Ihm diene, an Glut und Kraft überhaupt noch wachsen konnte. Ich war damals Diener bei dem Schatzmeister Fieubert. Unbeholfen und plump, vielleicht gutmütig aber tölpelhaft zertöpperte ich ungefähr alles, was mir in die Finger kam. Ich trat ins Kloster ein und war der Meinung, ich würde dort Gelegenheit finden, für meine Dummheiten und Vergehen, die ich begangen hatte, zu büßen. Aber Gott enttäuschte mich gründlich: Er ließ mich lauter Freude und innere Zufriedenheit Darin finden. So handelte Gott mit mir. So sollten wir alle- von Gottes Gegenwart stündlich, ja immer durchdrungen- und ohne Aufhören mit Ihm unterhalten und verkehren. Ist es nicht eine Torheit, den Umgang mit IHM zu verlassen, um sich allen möglichen Tändeleien und Vergänglichkeiten hinzugeben?
Wir müssen unsere Seele nähren und unterhalten mit hohen Vorstellungen von Gott. Das bringt jedem eine unaussprechliche Freude, der ernstlich versucht, sich IHM ganz hinzu- geben. Dazu muß der Glaube in uns lebendig und stark werden. Es ist so unsagbar bedauernswert, daß wir so wenig Glauben haben. Wir haben den Pfad des Glaubens so sehr verloren, daß wir gar nicht mehr wissen, was überhaupt Glaube ist, und anstatt daß der Glaube unser Führer und unsere Richtschnur ist, geben wir uns mit vielem Eifer an alle möglichen Dinge hin, die doch so wandelbar sind. Der Weg des Glaubens ist der Sinn der Kirche. Er genügt, um uns auf eine hohe Stufe der Vollkommenheit zu bringen.
Sich ganz und gar aufgeben und sich ganz und gar an Gott hingeben! Das gilt für die zeitlichen Dinge und es gilt für die geistlichen Angelegenheiten. Suchen wir unser Vergnügen einzig und allein nur noch darin, Seinen Willen zu erfüllen. Er mag uns durch Leid führen oder mit seinen Tröstungen heimsuchen, all das wird uns gleich sein, wenn wir in der Tiefe unserer Seele uns Ihm ganz ergeben haben.
Um zu jener heiligen Ergebung zu gelangen, wie Gott sie von uns fordert, müssen wir über alle Bewegungen der Seele, vor allem aber auf unsere Leidenschaften ein wachsames Auge haben. Denn sie mischen sich gern in unsere geistigen und in unsere leiblichen Handlungen. Aber gerade in unseren Gemütsbewegungen und Leidenschaften gibt Gott sein inneres Licht jedem, der Ihm ernstlich dienen will.
Ich erwarte nach den Tagen der Lebensfreude, die Gott mir gegeben hat, nun auch mein gerüttelt Maß von Leid und Kreuz. Doch ich bin darob nicht bekümmert, denn ich weiß sehr wohl, daß Gott mir seine Kraft nicht versagen wird, auch zu ertragen, was er mir sendet. Denn aus mir selbst vermag ich nichts.
Wenn ich eine Gelegenheit habe, etwas Gutes zu tun, wende ich mich ganz kindlich an Gott und sage Ihm: Mein Gott, ich kann dies nicht tun, wenn Du mir nicht hilfst. So bete ich und dann erhalte ich Kraft von oben- mehr als genug. Wenn ich gefehlt habe oder meine Pflichten verletzte, bekenne ich meine Fehltritte vor Gott. Ich sage Ihm wieder ganz einfältig: Herr, ich werde es nie anders machen, wenn Du mich mir selbst überläßt. Du allein kannst es hindern, daß ich falle, und nur Du kannst bessern, was verkehrt in mir ist. Danach mache ich mir weiter keine Gedanken mehr. Man muß in der größten Einfalt mit Gott umgehen. Man muß freimütig und offenherzig mit Ihm reden und seine Hilfe von Ihm begehren in allen Angelegenheiten, die uns treffen. Er wird sie uns dann nie versagen. Ich habe das oft an mir erfahren.
Wenn mich Drangsal befällt, befrage ich niemand und spreche mich bei niemand aus: Durch das Licht des Glaubens weiß ich, daß Gott um mich ist. Ich finde Trost und Frieden indem ich alles, was ich tue, vor Ihm tue, d.h. mit dem einzigen Wunsch, Ihm zu gefallen, mag es kommen wie es will. Unnütze Gedanken verderben alles. Mit ihnen beginnt jedes Übel. Wir müssen sie daher mit Entschiedenheit zurückweisen, sobald wir ihren Ansturm auf die Beschäftigung, die wir gerade ausüben, oder auf unser Seelenheil allgemein bemerken
Alle körperlichen Abtötungen und sonstige geistigen Übungen sind ohne Nutzen, wenn sie nicht dazu dienen, einzig und allein durch die Liebe die Vereinigung mit Gott herbeizuführen. Ich habe das immer wieder erfahren und ich kenne daher den kürzesten Weg, der unmittelbar zu Gott führt. Es ist dieser: Alles immer nur aus Liebe zu IHM zu tun und alle Dinge seinetwillen verrichten.
Wir müssen einen großen Unterschied machen zwischen den Werken des Verstandes und den Werken des Willens. Was wir mit unserem Verstande vor Gott tun, gilt meistens wenig vor Ihm. Was wir im Willen Ihm unterwerfen, gilt alles. Unsere einzige Aufgabe ist, Gott zu lieben und uns an Ihm zu erfreuen.
Alle Arten der Abtötung können nicht eine einzige Sünde tilgen, wenn nicht einzig und allein die Liebe zu Gott in ihnen lebt. Wir wollen immer wieder, ohne große Ängstlichkeit die Vergebung unserer Sünden vom Blute Jesu Christi erwarten, und wir wollen danach streben, Ihn zu lieben mit allen Kräften unseres Herzens. Es scheint, daß Gott seine größten Liebeserweise den größten Sündern zukommen läßt als besonderes Zeichen seines abgrundtiefen Erbarmens.
Wenn ich bisweilen eine längere Zeit nicht im Gedanken an Gott gelebt habe, beunruhige ich mich deswegen nicht, sondern ich bekenne Gott meine ganze Jämmerlichkeit und wende mich zu Ihm mit umso größerem Vertrauen, je mehr ich darüber zerknirscht bin, daß ich Ihn vergessen konnte. Durch unser Vertrauen ehren wir Gott. Je mehr wir Ihm vertrauen, desto mehr ehren wir Ihn und ziehen große Gnaden auf uns herab.
Ich bin in meinen alltäglichen Beschäftigungen mehr mit Gott vereinigt, als wenn ich mich aus der Arbeit zu besonderen Stunden des Gebetes zurückziehe, von denen ich gewöhnlich mit größerer Trockenheit des Geistes zurückkehre.
Die vollständige Preisgabe des Menschen an Gott ist der sicherste Weg zu Ihm, ein Weg, auf dem uns immer ein Licht leuchtet, so daß wir den Pfad sehen, den wir zu wandeln haben.
Bei Beginn des geistigen Lebens müssen wir mit aller Treue unsere Pflicht tun und Selbst- verleugnung üben. Dann aber folgen danach unaussprechliche Beglückungen und tiefe Freuden. Kommen Schwierigkeiten und Nöte brauchen wir nur dies: zu Jesus Christus unsere Zuflucht nehmen und Ihn um seine Hilfe bitten. Sein Beistand macht alles leicht.
Viele machen deswegen keine rechten Fortschritte im christlichen Leben, weil sie in Bußübungen oder anderen besonderen Übungen für das geistige Leben (Exerzitien) stecken bleiben und dabei die Hauptsache vergessen: daß nämlich die Liebe zu Gott doch einzig und allein Zweck und Ziel solcher Übungen sein kann. Wo das nicht beachtet wird, tritt es schon bald klar in den Handlungen und Werken der betreffenden Menschen in Erscheinung. Daher kommt es denn auch, daß wir so wenig echte Tugend finden.
Um zu Gott zu kommen haben wir weder Klugheit noch Wissenschaft nötig. Nur eins ist not: ein redliches und festes Herz, dass nichts sucht als Ihn, und das in allem auch nur wieder Ihn sucht- und das Ihn nur darum sucht, um Ihn zu lieben, IHN allein. Das allein ist not, ein kühner, fester Entschluß, allem ein für allemal zu entsagen und uns Ihm zu übergeben, mit dem wir von da ab einen ständigen Umgang führen dürfen. Ein vertrauensvoller Umgang muß es sein, ohne hohe Geheimnisse; er sei lauter und rein! So will es Gott. Wir bedürfen dabei jener beglückenden Erkenntnis, daß Gott in uns, in unserem tiefsten Seelengrunde wohnt, und daß wir uns dort jeden Augenblick an Ihn wenden können.
Gott gibt uns allzeit sein Licht in unseren Zweifeln, wenn wir nur ernstlich danach streben, Ihm zu gefallen und alles aus Liebe zu Ihm zu tun. Unsere Heiligung hängt nicht davon ab, daß wir unsere Beschäftigung wechseln, sondern davon, daß wir um Gottes Willen tun, was wir gewöhnlich unserer selbst willen tun. Es ist bedauernswert, daß man so viele Menschen sieht, die im Dienst Gottes die Mittel für den Zweck ansehen und die sich zu bestimmten Werken zwingen, die sie zudem noch sehr unvollkommen verrichten, weil sie dabei von irdischen Absichten oder gar selbstsüchtigen Beweggründen geleitet sind. Ich kenne keinen besseren Weg zu Gott zu kommen als den: tue das, was dir dein Beruf oder dein Geschäft Tat für Tag aufgibt, aber tue es nicht, um den Menschen zu gefallen, sondern verrichte alles- soweit wir Menschen dessen fähig sein, rein aus Liebe zu Gott.
Es ist ein großer Irrtum zu glauben, die Zeit des Gebetes müsse sich von der übrigen Zeit unterscheiden. Nein! Es ist uns aufgegeben, bei Gott zu sein zur Zeit der Arbeit, durch die Arbeit und ebenso zur Zeit des Gebetes durch das Gebet. Beten ist doch nichts anderes als dies: wissen und spüren, daß man in der Gegenwart Gottes ist und seine Seele ganz unempfänglich macht gegen alles, was von außen an uns herantritt und sie nur noch hingeben an die göttliche Liebe.
Wenn die festgesetzten Zeiten zum Gebet vorüber sind, so merke ich das nicht einmal, weil ich fortfahre, mit Gott zu wandeln, Ihn preisend und lobend ob seiner Größe und Macht. So werde ich stets fortfahren mit Ihm zu wandeln und zu sprechen, und mein Leben ist eine immerwährende Freude. Gewiß wird Gott mir auch Leiden schicken, aber erst dann, wenn ich stark genug bin, sie auch zu tragen.
Wir sollten nicht müde werden, ein für allemal unser ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen und Ihm uns ganz zu übergeben. Dann dürfen wir sicher sein, daß Er uns nie enttäuscht. In der Unruhe und im lauten Lärm meiner Küche, wenn mehrere Personen gleichzeitig verschiedenen Dingen nachgehen, besitze ich Gott in derselben erhabenen Ruhe, wie wenn ich auf meinen Knien liege vor dem Heiligsten Sakramente.
Aus den Briefen des Bruder Laurentius
Ich habe in mancherlei Büchern die verschiedensten Betrachtungen, Ratschläge und
Übungen, wie man zu Gott komme und ein geistiges Leben führe, gelesen, dabei aber immer wieder gefunden, daß mich alles das mehr verwirrte, als daß es mir förderlich war. Dabei suchte ich doch nur ein eins: ganz Gott anzugehören. Diese Sehnsucht bewegte mich so stark, daß ich das Wagnis tat, alles für Alles daranzugeben. Ich übergab mich ganz Gott, um für meine Sünden ihm Genugtuung zu leisten. Ich sagte aus Liebe zu Ihm allem ab, in dem Er nicht war. Ich begann zu leben, als wären nur Er und ich allein auf der Welt.
Der Schatz Gottes gleicht dem unbegrenzten Ozean, von dem schon eine kleine Welle des Gefühls, die im Augenblick kommt und geht, uns zufrieden macht. Blind wie wir sind, hindern wir Gott daran, den Strom seiner Gnaden in uns zu ergießen. Aber wenn Er eine Seele findet, in der ein ganz lebendiger Glaube wohnt, so segnet er sie mit Gaben und Gnaden in reicher Fülle. Sie ergießen sich dann in die Seele wie ein Sturzbach, der- gewaltsam in seinem gewöhnlichen Lauf aufgehalten- jetzt eine Stelle gefunden hat, wo er durchbrechen kann, und nun mit hinreißender Gewalt seine aufgestauten Fluten über weites Land ergießt. Wie oft hemmen wir diesen göttlichen Strom von oben durch unsere Geringschätzung, die wir ihm entgegenbringen! Drum sage ich noch einmal: Laß unsEinkehr halten. Die Zeit drängt. Hier gibt es keinen Grund für einen Aufschub. Denn es handelt sich um das Heil unserer Seele. Sie werden, wie ich glaube, so gerüstet und bereit sein, daß Sie vom Tode nicht überrascht werden können, Ich muß Sie deshalb loben, denn dies allein ist ja das Eine Notwendige. Aber müssen wir nicht trotzdem stets an uns weiter arbeiten? Stillstand im geistigen Leben ist Rückschritt. Aber alle, deren Geist berührt wurde vom Wehen des Heiligen Geistes, schreiten im geistigen Leben vorwärts, auch im Schlafe. Wenn das Schifflein unserer Seele von Winden und Stürmen hin - und hergeworfen wird, laß uns den Herrn wecken, der in ihm ruht. Er gebietet und siehe: Meer und Sturm sind still.
Die Vergegenwärtigung Gottes- eine Übung, die nach meiner Meinung das ganze geistliche Leben enthält. Denn ich bin davon überzeugt, daß jeder, der sie treu übt und anwendet, in kurzer Zeit mitten im geistigen Leben drinsteht. Allerdings ist nur das die rechte Übung, bei der das Herz von allem Irdischen gereinigt ist. Denn Gott will unser Herz allein besitzen. Und Er kann es solange nicht in Besitz nehmen, als es nicht durch und durch lauter ist. Er kann solange noch nicht in ihm wirken, wie Er will, als es Ihm nicht ganz und bedingungslos übergeben ist. In der Welt gibt es kein Leben, das solch wundervolle Köstlichkeit und solch unbegreifliches Wunder wäre wie der ständige Umgang mit Gott.
Das können nur jene begreifen, die diesen Umgang Gottes suchen und Seine Herrlichkeit an sich erfahren. Aber ich bitte Sie, Gott nicht zu suchen wegen dieser Gaben. Denn wir wollen ja nicht unsere eigene Seligkeit im Wandel mit Gott suchen. Sondern laß uns Ihn suchen aus reiner Liebe und weil Gott selbst es ist, der mit uns Menschen verkehren will. Wäre ich Prediger, ich würde über alle anderen Gegenstände und Themen dieses setzen:
Die Vergegenwärtigung Gottes. Wäre ich Seelenführer, ich würde jedermann zu ihr hin- führen. So notwendig scheint mit diese Übung. Zudem ist sie so leicht. Ach, würden wir doch erkennen, was wir alles Seiner Gnade und Seinem Erbarmen verdanken, wir würden Ihn nie wieder- auch nicht einen Augenblick aus den Augen verlieren.
Es tut indessen not, sein ganzes Vertrauen auf Gott zu setzen und alle anderen Sorgen und Gedanken beiseite zu legen- auch die besonderen Übungen der Frömmigkeit. So gut sie an sich auch sein mögen, sie dürfen nicht zu sehr in den Vordergrund treten, damit sie uns zur Gewohnheit werden, wie das ja so oft der Fall ist. Denn im letzten Grunde sind diese besonderen Andachten doch nur Mittel zum Ziel. Das Ziel aber ist Gott. Und wenn wir durch die Vergegenwärtigung Gottes unmittelbar bei Ihm sind, der unser Ziel und Ende ist, was bedarf es da noch für Mittel?
Ich kann mir nicht vorstellen, wie Menschen im geistigen Leben zufrieden sein können ohne die Vergegenwärtigung Gottes in ihrem Leben praktisch durchzuführen. Ich für meinen Teil halte mich, soviel ich kann, mit Gott ganz zurückgezogen im Innersten meiner Seele und wenn ich so bei Ihm bin, fürchte ich kein Übel.
Sie brauchen nicht laut nach IHM zu rufen: Er ist uns näher, als wir denken. Um bei Gott zu sein, ist es nicht nötig, immer in einer Kirche zu weilen. In unserem Herzen können wir eine stille Kammer des Gebetes aufschlagen, wohin wir uns von Zeit zu Zeit zurückziehen und mit Ihm liebende Zwiesprache halten in demutsvoller Ergebung. Jeder kann ganz nahe mit Gott verkehren; der eine mehr, der andere weniger. Er weiß, was wir leisten können. Laß uns darum beginnen. Vielleicht wartet Er gerade auf einen hochherzigen Entschluß unsererseits. Warum wollen wir den Einsatz nicht wagen? Wie kurz ist doch die Zeit, die wir hier noch zu leben haben. Sie sind beinahe vierundsechzig und ich bin fast achtzig Jahre alt. Laß uns daher ganz dem Herrn leben und dem Herrn sterben. Leid und Schmerzen werden dann mit innerer Erquickung und Heiterkeit von uns getragen, wenn wir in Ihm ruhen. Und ohne Ihn sind auch unsere größten Vergnügen im Grunde eine dem geistigen Menschen nicht ziemende Rohheit. Ihm sei Lob und Dank für alles!
Was aber in mir gegenwärtig vorgeht, das in Worte zu kleiden, ist mir unmöglich. Ich kenne keine Qual mehr, keinen Zweifel- und wie haben nicht Qual und Zweifel früher in meiner Seele gewohnt- weil ich keinen anderen Willen mehr habe als den Willen Gottes, den ich in allen Dingen auszuführen suche, dem ich so unterworfen und so sehr hingegeben bin, daß ich auch nicht einen Strohhalm gegen seinen Willen oder aus einem anderen Beweggrunde als aus reiner Liebe zu Ihm vom Erdboden aufheben würde. Ich habe alle äußeren Formen und Übungen der Andacht sowie die festgesetzten Gebete aufgegeben, ausgenommen jene, zu denen mich mein Stand verpflichtet. Ich mache es mir zu meiner einzigen Beschäftigung, in Seiner heiligen Gegenwart zu verharren, indem ich immer nur auf die Nähe Gottes hinmerke und mich mit ganzer Glut in ihn versenke- da ist Gott so stark und so nahe um mich- oder wie soll ich es sagen? - da ist die Seele so schweigend und tief, so still und beständig im Sprechen mit Gott, daß ich es nur noch ermessen kann an dem starken und warmen Strom tiefster Freuden, die innerlich von mir Besitz nehmen und die oft auch so stark nach außen drängen, daß ich sie mit allen Mitteln zurückhalten und sie vor anderen geradezu verbergen muß.
Wie unerschöpflich ist der Reichtum der Bibel! Je mehr jemand darin gräbt und sucht, umso größer sind die Reichtümer, die man in ihr findet.
Wir haben einen Gott, der von unendlichem Erbarmen ist und alle unsere Bedürfnisse kennt. Ich habe immer gedacht, Er würde Sie zum Äußersten führen. Er wird zu Seiner Zeit kommen, und zwar dann, wenn Sie Ihn am wenigsten erwarten. Hoffen Sie auf Ihn mehr denn je.
Du sagst mir nichts Neues: Denn Du bist nicht die Einzige, die gegen ihre zerstreuten Gedanken dauernd kämpfen muß. Unser Denken schweift nun einmal äußerst stark hin und her, aber da unser Wille ja Herr über all unsere Fähigkeiten ist, muß er die Gedanken wieder zur Sammlung bringen und sie auf Gott lenken als unser letztes Ziel und Ende.
Ich gebe Dir nicht den Rat, beim Beten viele Worte zu gebrauchen; gesprochene Worte bilden oft die Gelegenheit zur Zerstreuung. Verhalte dich im Gebete vor Gott wie ein armer, stummer und gelähmter Bettler an der Tür eines reichen Mannes. Laß es Dein innerstes Anliegen sein, Deine Gedanken in der Gegenwart Gottes zu halten: wenn sie mit- unter sich zerstreuen und von Ihm abschweifen, so beunruhige Dich darüber nicht allzu sehr, denn Ärger und Unruhe zerstreuen eher das Denken als daß sie es sammeln. Der Wille muß das Denken wieder in die richtige Ruhelage bringen. Wenn Du Dich so- stets strebend- bemühst, wird Gott bestimmt Dich seine Nähe spüren lassen.
Ein Mittel um unsere Gedanken jederzeit leicht zur Zeit des Gebetes zu sammeln und sie in Ruhe zu bewahren, ist dieses: daß man sie nicht zu weit schweifen lasse zu anderen Zeiten. Du solltest Deine Gedanken fest in der Gegenwart Gottes halten.
Man kann nicht auf einmal heilig werden. Wir sollten uns überhaupt einander mehr helfen durch geistigen Zuspruch, mehr jedoch noch durch gutes Beispiel.
Wir wollen immer wieder daran denken, daß der einzige Inhalt unseres Lebens nur der
sein kann: Gott zu gefallen. Alles andere ist Trug und Eitelkeit.
Wir müssen Gott kennen lernen, ehe wir Ihn lieben können. Um Ihn aber kennen zu lernen, müssen wir öfters an Ihn denken. Und wenn wir zur Liebe gelangen, werden wir auch oft an Ihn denken, denn: Wo unser Schatz ist, da ist auch unser Herz.
Wir können nie genug Glauben und Vertrauen auf Ihn haben. Er ist besser und treuer als
der beste und treueste Freund. Er kann uns nie enttäuschen, weder auf dieser Erde noch in der kommenden Welt.
Wir sollen gewiß unsere Freunde lieben; aber wir dürfen darunter nicht die Liebe zu Gott leiden lassen. Sie muß vielmehr immer die Hauptsache bleiben.
Setze dein ganzes Vertrauen auf Ihn allein und du wirst bald eine starke Wirkung davon spüren, die wir leider so oft zurückhalten, weil wir größeres Vertrauen auf irdische Heilkünste setzen als auf Gott. Welche Arzneien Du auch anwenden magst, wisse, sie werden sich nur insoweit als heilkräftig erweisen, als Gott es zuläßt. Wenn die Leiden von Gott kommen, so kann er Sie auch allein heilen. Oft sendet Er dem Leibe Krankheiten, um dadurch die Seele zu heilen. Hole Dir Kraft und Arznei bei dem Fürsten aller Ärzte des Leibes und der Seele.
Wären wir doch ganz und gar an die heilige Übung der Vergegenwärtigung Gottes gewöhnt, wie sehr würden dadurch alle körperlichen Krankheiten gemildert werden! Gott läßt es oft zu, daß wir leiden müssen. Er will dadurch unsere Seele läutern und uns dazu anhalten, bei Ihm zu verbleiben. Ich kann nicht begreifen, wie eine Seele, die bei Gott ist und deren einziges Sehnen nur Er ist, Schmerz empfinden kann: ich habe genug erfahren, um darüber jeden Zweifel auszuschließen. Fasse Mut, bereite ohne Unterlaß deine Sorgen vor Ihm aus, bete zu Ihm um Kraft zum Ausharren. Vor allem aber übe dich in der Gewöhnung, mit Gott dauernd zu verkehren und vergiß Ihn so wenig wie möglich.
Ich weiß nicht, was Gott noch mit mir vorhat. Ich werde immer glücklicher. Die ganze Welt leidet; doch ich, der ich die strengste Züchtigung verdiene, erfahre solch dauernde und so große Freuden, daß ich sie kaum ertragen kann.
Der Glaube gibt mir die starke, gleichsam fühlbare Überzeugung und das Wissen, daß Er uns nie verläßt, wenn wir Ihn nicht zuerst verlassen. Hüten wir uns, Ihn zu verlassen! Bleiben wir immer in Ihm. Laß uns mit Ihm leben und mit Ihm sterben.